Ein Märchen aus uralten Zeiten..
Das Rheintal kann zu Recht als das erste bedeutsame touristische Reiseziel in Deutschland bezeichnet werden. Rund eine Million Gäste kamen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts – welch beeindruckende Zahl! Was mag diese internationale Begeisterung ausgemacht haben? Jeder Besucher des Welterbe-Tals wird die Antwort in der faszinierenden Landschaft selbst entdecken.
Von wegen Reiseziel!
Zugegeben, Reisende wie Pilger, Händler und Geschäftsleute nutzten schon seit langer Zeit das enge Rheintal, weil es der schnellste Weg war, um von Frankfurt oder Mainz nach Köln zu gelangen. Für die urwüchsige, nicht immer gefahrlose Landschaft hatte man allerdings nur wenig Blick. Erschien sie doch als rau und wild, mit tückischen Untiefen im Flussbett und scharfen Felsen, die nur mit Glück heil umschifft werden konnten. Eigentlich war jeder Reisende froh, diesen Teil seiner Fahrt gesund und heil an Besitz und Leben gemeistert zu haben. Es sollte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts dauern, bis sich ein ganz neues Bild von Schönheit und Mutter Natur entwickeln würde.
Eine neue Sehnsucht
War für viele die geordnete Form genau strukturierter Barockgärten das Maß aller Naturschönheit gewesen, so zeigte sich mit einer neuen Generation von Dichtern und Denkern ein Wandel hin zur Ursprünglichkeit. Plötzlich gehörte die ungezähmte Natur in all ihrer natürlichen Stärke und Urwüchsigkeit zum ästhetischen Ideal. Wie gut passte da die Erscheinung des oberen Mittelrheintals in das neue Bild einer rauen, wilden Landschaft. Hier fanden sich keine liebliche Idylle und keine kultivierte Landschaft nach klassischem Vorbild. Die Felsen waren schroff, die Hänge steil, und oben auf saßen wie alte Adlerhorste eine Vielzahl von Burgruinen, die von einem heroischen Mittelalter kündeten. Clemens Brentano und sein Dichterfreund Achim von Arnim ebneten den Weg mit ihren literarischen Werken und Briefwechseln für das sich langsam entwickelnde Gefühl der Rheinromantik. Die Lore-Ley, die schöne blonde Frau auf hohem Fels, gelangte zu großer Berühmtheit, die sie bis heute für sich und die ganze Region erhalten hat. Publikationen vieler Rheinsagen entstanden in dieser Zeit. Schon bald gehörten auch gemalte Rheinansichten in ausgeprägter Urwüchsigkeit zu den Bestsellern im Inund Ausland.
Very british und doch urdeutsch
Das neue Naturverständnis und die verklärte Liebe zum Geist des Mittelalters fielen gerade in England auf fruchtbaren Boden. Hier war man durch Napoleons Kontinentalsperre über Jahre hinweg gezwungen gewesen, Reisen über den Kanal zu unterlassen. Nun war der Weg frei, und die Engländer liebten diesen romantischen Gedanken. Der englische Dichter und Maler Lord Byron fand wahre Lobgesänge auf die romantische Rheinlandschaft und bereitete so den Weg für viele seiner Landsleute hinein in das wilde, raue Tal der Loreley. Schaurig schön waren die „Gothic Novels“, die auf der britischen Insel gelesen und unwahrscheinlich populär wurden. Wie gut passte da das wilde Rheintal in die Fantasien der Leser. Mit dem Start des regelmäßigen Dampfschiffverkehrs 1827 kamen Rheintouristen in ungeahnter Zahl. Die Rheinbegeisterung lockte Maler wie Turner, Romanciers wie Victor Hugo oder die englische Mary Shelley, die ihren berühmten Schauerroman „Frankenstein“ nach unmittelbaren Empfindungen anlässlich einer Rheinreise verfasste.
Aufbruch statt Abbruch
In Folge der Rheinbegeisterung verfielen auch die Hohenzollern diesem einzigartigen Talabschnitt. Der preußische Kronprinz selbst ließ mehrere Burgen wieder errichten und durch bekannte Baumeister wie Lassaulx oder Schinkel in den verklärten Charme des ritterlichen Mittelalters zurückführen. Das 19. Jahrhundert geriet zur neuen Blütezeit des Mittelrheintals und wurde zum IN-Reiseziel internationaler Besucher, die es sich leisten konnten, eine Reise zu unternehmen. Das Rheintal musste man eben gesehen und erlebt haben!
- Loreleyromantik